Themen sind die grundlegenden und oft universellen Ideen, die in einem literarischen Werk erforscht werden.

Die Suche nach heroischen Vorbildern

Foto: Christopher Bill

Die Schatzinsel ist einerseits natürlich eine Abenteuergeschichte, aber andererseits auch die Geschichte eines Jungen, der erwachsen wird. Zu Beginn des Romans ist Jim ein schüchternes Kind, am Ende jedoch gereift. Er hat Piraten überlistet, ein Schiff übernommen und unzählige Leben gerettet. Jim ist zu einem erwachsenen Charakter geworden, wenn auch nicht im Alter. Wie jeder Junge muss Jim verschiedene männliche Vorbilder ausprobieren. Jims Vater scheint kein bedeutendes Vorbild zu sein: Er stirbt früh im Roman, und schon vorher scheint er nicht viel Einfluss auf Jims Inneres zu haben. Tatsächlich erwähnt Jim seinen Vater in seiner Erzählung kaum.

Alternativ könnten wir beobachten, dass eine Persönlichkeit der Öffentlichkeit Jim als Vorbild dient. Dr. Livesey hat zum Beispiel einen hohen sozialen Status in der Gemeinschaft und repräsentiert die zivilisierte, rationale Welt. Als Jim die Karte findet, denkt er sofort an Livesey, während er sich fragt, was er damit anfangen soll. Es scheint daher so, als würde Jim Livesey als Vorbild betrachten. Trelawney ist wie der Arzt ein Symbol für weltliche Autorität. Obwohl beide Männer aufrechte Bürger sind, faszinieren sie Jims Gedanken nicht und inspirieren ihn nicht. Sie sind einfach zu steif und geradlinig.

Als die Piraten auftauchen, beginnt Jim ihr Handeln, ihre Einstellungen und ihr Aussehen zu beachten. Er beschreibt Silver mit einer Intensität und Liebe zum Detail, die er für keinen anderen Charakter zeigt. Bald imitiert Jim einige Aspekte von Silvers Verhalten. Er handelt impulsiv und mutig, wenn er sich in Kapitel XIII in das Boot der Piraten schleicht. In Kapitel XXII verlässt er sogar seinen eigenen Kapitän und startet damit seine eigene Meuterei. Er segelt mit einem Boot zum ankerndem Schiff, tötet den Piraten Israel und ernennt sich selbst zum neuen Kapitän des Schiffes. Selbst Silver bemerkt diese Piraten-Seite an Jim, da er (Jim) ihn daran erinnert, wie er selbst als Junge war. Das könnte darauf hindeuten, dass Jim ähnlich wie Silver als Pirat heranwachsen könnte.

Am Ende des Romans ist der Einfluss der Piraten auf Jims Entwicklung klar, aber nicht zwangsläufig nachteilig. Jim zeigt mehr Mut, Charisma und Unabhängigkeit als der Kapitän, der Gutsherr oder der Arzt. So wie er seinen Vater nicht erwähnt hat, erwähnt er auch diese Männer am Ende seiner Erzählung nicht. Diese Auslassung im Roman kann darauf hindeuten, dass die Personen für Jims Entwicklung nicht wichtig waren. Stattdessen zollt Jim Silver Tribut und wünscht dem Piraten alles Gute. Silver war in der Tat wichtiger als jeder andere, um Jims Identität, Hoffnungen und Träume zu formen.


Die Sinnlosigkeit des Verlangens

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Die Schatzinsel erforscht die Erfüllung von Wünschen und letztendlich ist die Motivation aller Charaktere die Gier: Jeder will den Schatz. Am Ende des Abenteuers haben Jim und die Crew des Kapitäns ihre Gier gestillt, nachdem sie den Schatz gewonnen haben. Stevenson beschreibt im Roman anschaulich wie die Männer das Gold zum Schiff schleppen, um die endgültige befriedigende Leistung zu unterstreichen. Der Autor bezweifelt aber auch die Nachhaltigkeit dieser Befriedigung. Für die Piraten erweist sich der Wunsch als vergeblich und ihr Ziel unerreichbar, da sie die Schatzkarte zu einem leeren Loch führt. Das leere Loch wird zum Symbol für die Sinnlosigkeit der Schatzsuche und für den Verlust der Seele bei der Schatzsuche. Wenn die Piraten beginnen zu graben, könnte dies auf das Graben ihres eigenen Grabes übertragen werden. Ihre Gier und Irrationalität führen nur zu Tod, Verlust und Unzufriedenheit.

Auch wenn Ben den Schatz seit drei Monaten besitzt, ist er halb verrückt und lebt in einer Höhle. Solch ein Schatz ist für ihn nutzlos, da er alleine auf einer Insel ist. Ohne Strukturen und Regeln einer Gesellschaft, in der Gold einen monetären Wert hat, ist der Schatz wertlos. Ebenso scheint Jim selbst nicht mit dem Gold zufrieden zu sein. Er erwähnt nicht seinen Wert und konzentriert sich stattdessen auf die Nationalität und das Design der Münzen. Ebenso lösen die Goldmünzen Albträume aus und nicht etwa visionäre Träume seines Reichtums. Jim zeigt nicht den Wunsch, für den verbleibenden Schatz zurückzukehren. Im Gegensatz zu anderen literarischen Abenteurern wie Huckleberry Finn in Mark Twains Die Abenteuer des Huckleberry Finn oder Odysseus in Homers Odyssey, möchte Jim nicht endlos reisen oder Schatzsuche unternehmen. Er hat gelernt, dass die mit derartige Wünsche nach Reichtum oder einem luxuriösen Lebensstil vergeblich sind. Er würde niemals durch Gier und Blutvergießen ein gutes Leben erreichen.


Der Mangel an Abenteuer in der modernen Gesellschaft

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Stevenson umrahmt seine Geschichte von Piraterie mit einer Reihe von Hinweisen, die auf das Ende der Geschichte hindeuten. Er sagt, dass die Geschichte fest der Vergangenheit und nicht der Gegenwart angehört. Die Entscheidung von Stevenson, die Geschichte im achtzehnten Jahrhundert festzulegen, unterstreicht die Tatsache, dass das Piratenleben überholt ist. Stevenson lässt auch Jim seine Erzählung in Form einer retrospektiven Chronik beginnen, welche erst beginnt, nachdem das Abenteuer bereits vorbei ist. Wir wissen aus dem ersten Satz, dass Jim, Trelawney, Smollett und Livesey als Sieger überlebt haben. Dieses Wissen verleiht dem ersten Auftreten der Piraten bereits etwas Düsteres, da wir wissen, dass sie zum Scheitern verurteilt sind. Die Piraten sterben im Laufe des Romans rasch aus und sind ständig mit Tod, Krankheit und Verschwinden verbunden. Tatsächlich symbolisiert das in der Nähe der Schatzstätte gefundene Piratenskelett den bevorstehenden Untergang der Piraten.

Stevenson verherrlicht jedoch nicht den Tod der Piraterie und die Ausrottung von Kriminellen. Mit Jims traurigem Abschied in Gedenken an Silver, in welchem er sagt, dass er keine weiteren Abenteuer mehr unternehmen wird, schafft Stevenson eine Art Elegie für das Piratenleben. Stevenson trauert nicht um seinen Verlust, aber er lässt uns fragen, ob es unserer Welt ohne die Ausstrahlung, den Charme und den Geist der Piraten besser ginge. Er greift die viktorianischen Ideale an, in der Kapitäne, Ärzte und andere verantwortliche Fachleute als natürliche Führer der Gesellschaft vorherbestimmt sind. Sein ganzes Leben lang kritisiert der Autor Stevenson die viktorianische Professionalität und mit diesem Roman über Piraten deutet er an, was seiner Meinung nach in der modernen Welt fehlt und das bereits vor über hundert Jahren.